Themenspecial "Das Ende der Kaskade?"

Ganz oben entwickeln und entscheiden, nach unten erklären und umsetzen. So hat Change in Unternehmen jahrzehntelang funktioniert. Doch diese Logik gerät immer stärker unter Druck. Vier Ansätze helfen dabei, Mehrheiten für den Change zu organisieren und Veränderungsbewegung in der Breite anzustoßen. Lesen Sie mehr in unserem Themenspecial "Das Ende der Kaskade?".

Einbindung und Dialog in Veränderungs­prozessen

Von Heike Humpf

In Unternehmen, in denen Veränderungen zur Tagesordnung gehören, hat die Interne Kommunikation neben der "klassischen" Aufgabe des Informierens eine Vielzahl von anspruchsvollen Kommunikationsaufgaben zu bewältigen. Wir wissen: Will man Veränderung erfolgreich und nachhaltig umsetzen, muss die Belegschaft – Mitarbeiter UND Führungskräfte – den Prozess tatkräftig unterstützen. Wenn alle die Veränderung verstehen, sich intensiv mit ihr befassen und in der Lage sind, sie für sich einzuordnen, kann Wandel aktiv gestaltet werden.

Moderieren und vermitteln im Dialog: Veränderte Anforderungen an die Interne Kommunikation

Die Interne Kommunikation muss weitreichende Veränderungsprozesse nicht nur begleiten, sondern gestalten. Zu ihren Aufgaben gehört:

  • die gewünschte Verhaltensänderung anstoßen und unterstützen,
  • die Veränderung moderieren, die Vermittlung und Implementierung unterstützen,
  • die Führungskräfte für ihre Rolle als Fürsprecher und Erklärer des Change befähigen,
  • Formate liefern, die die betroffenen Teams in die Lage versetzen, gemeinsam Probleme zu lösen.

Beobachtungen aus der Praxis zeigen:

  • Gerade bei der Vermittlung und Implementierung von unternehmenspolitischen Inhalten, wie z. B. bei einer Strategischen Neuausrichtung, existiert der Wunsch der Belegschaft nach Beteiligung. Die Entscheider wollen diesem Wunsch mehr und mehr nachgeben und tun gut daran, Mitarbeiter als Experten am Arbeitsplatz ernst zu nehmen und ihr Wissen für die Strategieumsetzung zu nutzen.

Die Veränderung in Gang bringen: Dialogformate befähigen Führungskräfte, die Veränderung in ihren Bereich zu tragen

Einerseits sind Führungskräfte in Veränderungsprozessen die Treiber der Veränderung: Sie müssen Mitarbeiter mitnehmen und von den Strategien überzeugen. Dialogformate – sind sie genau auf die Bedürfnisse der Führungskräfte und ihrer Teams zugeschnitten – befähigen sie, ihre Rolle auszufüllen.

Andererseits sind Führungskräfte die Getriebenen der Veränderung. Je nach Veränderungstyp werden ihre Kompetenzen in Frage gestellt und sie müssen gegebenenfalls ihre eigenen Verhaltensweisen anpassen. Auch hier sind Dialogformate hilfreich, damit Führungskräfte sich besser in ihrer Rolle zurechtfinden.

Beobachtungen aus der Praxis zeigen:

  • Der Mehrwert von Dialogformaten besteht vor allem in der Einbindung der Führungskräfte als Gestalter und Vermittler.
  • Wenn es beispielsweise darum geht, Einzelaspekte der neuen Unternehmensstrategie auf die Belange verschiedener Abteilungen zuzuschneiden, kann der festgelegte strategische Rahmen in einem Dialog-Prozess an die Führungskräfte vermittelt werden und gleichzeitig deren Input für die Vertiefung der Unternehmensstrategie abgeholt werden.
  • Im Anschluss vermitteln die Führungskräfte in einem aufgesetzten Dialog-Folgeprozess die von ihnen erarbeiteten Inhalte zur neuen Unternehmensstrategie an ihre Mitarbeiter und operationalisieren sie mit ihnen gemeinsam – das heißt, sie legen konkrete Maßnahmen fest, wie sie die Umsetzung der neuen Strategie im Team vorantreiben wollen.

Zu viel Information, zu wenig Zeit im Vertrieb: Strukturierter Dialog in kleinen Happen entspricht den heutigen Anforderungen an eine erfolgreiche Vermittlung

Mitarbeiter in Konzernstrukturen werden oft überfrachtet durch Kommunikationsmaßnahmen für die verschiedensten Projekte und Initiativen. Das bindet Zeit und Aufmerksamkeit, die dann im Arbeitsalltag fehlt.

Beobachtungen aus der Praxis zeigen:

  • Besonders im Vertrieb verringert sich die Bereitschaft, größere Zeiträume für Workshops frei zu räumen. Einerseits haben Betriebsräte ein Auge darauf, dass die Arbeitszeiten eingehalten werden. Andererseits haben die Vertriebsleiter kein Interesse daran, ganze Teams für einige Stunden aus dem Geschäftsalltag herauszuziehen oder gar Filialen zu schließen.
  • Praktikabel ist ein Dialogprozess, der sich auf mehrere Wochen erstreckt und die Regelmeetings der Teams nutzt. Die Inhalte können dann in mehreren Teamrunden sukzessive erarbeitet werden. Reflektieren die Teams zudem bei jedem Treffen noch die Umsetzungserfolge der vorherigen Teamrunde und bauen auf den Teilerfolgen auf, wird aus der Vermittlung der Inhalte automatisch ein revolvierender Prozess.

Offline lebt: Wer Veränderung will, muss sich ihr persönlich stellen

Es gibt kommunikative Herausforderungen in Unternehmen, auf die die Verwendung von digitalen Formaten keine Antwort bietet: Verhaltensänderungen bewirkt man nur durch Einbindung und Verpflichtung der Mitarbeiter, was wiederum nur in persönlichem Austausch mit den Führungskräften funktioniert. Die bloße Information über interne Medien würde die Führungskräfte aus Ihrer Vermittlerrolle entlassen und das für die Bewegung im Team wichtige Moment des gemeinsamen (Er-)Arbeitens ungenutzt lassen.

Beobachtungen aus der Praxis zeigen:

  • Geht es darum, den Führungskräften und Mitarbeitern Gestaltungsraum zu geben, ist der Einsatz von Workshop-Formaten das Non-plus-Ultra. Das Zusammenspiel von moderierender Führungskraft und Mitarbeitern, die gemeinsam mit ihr Lösungsvorschläge oder Maßnahmen diskutieren und festlegen, hat für alle spürbare Vorteile: Das Team arbeitet als Team, es bringt gemeinsam Lösungen auf die Straße. Das heißt, was später umgesetzt wird, ist nicht die Erfindung oder Vorgabe eines Einzelnen, sondern ein im Diskurs entstandenes Teamprojekt. Das schafft Verbindlichkeit.
  • Die kommunikative Begleitung eines Dialog-Prozesses durch die internen (digitalen) Medien ist sinnvoll und für das dauerhafte Aufrechterhalten des Themas äußerst ratsam. Schließlich können die Ergebnisse aus den Workshops als Best Practices aufbereitet werden und liefern ganz von selbst regelmäßige Kommunikationsanlässe.

Kein Widerspruch in sich: Mit einem starken Gerüst bei gleichzeitig maximaler Freiheit im Dialog zum Erfolg

Dialogformate sollten folgende drei feste Bestandteile haben, die für eine erfolgreiche Vermittlung und Implementierung von Veränderung entscheidend sind: Die Führungskraft moderiert, das zu vermittelnde Thema muss inhaltlich in Bezug zur Unternehmensstrategie stehen und das Team legt gemeinsam konkrete Arbeitsziele und Maßnahmen fest.

Beobachtungen aus der Praxis zeigen:

  • Die Entwicklung eines Dialogformates in der Projektgruppe gleicht oftmals selbst einem Dialogprozess. Durch das Hinterfragen von Gegenstand und Ziel der Veränderung werden alle Inhalte gründlich durchdacht und sukzessive maßgeschneidert. Da bei der Gestaltung der Veränderung in den meisten Fällen verschiedene Bereiche des Unternehmens einbezogen sind, dient der Dialogprozess zunehmend nicht nur dem Zweck, strategische Inhalte an Führungskräfte oder Mitarbeiter zu vermitteln, sondern verschiedene Interessen und Perspektiven einzubinden.
  • Bei einer homogenen Zielgruppe kann das Thema für alle Anspruchsgruppen gleichermaßen ausgearbeitet werden. Bei einer heterogenen Zielgruppe mit verschiedenen Schwerpunkten (Bereiche oder Regionen) kann das übergeordnete Thema (z. B. Strategie) als Gerüst vorgegeben, die Ausgestaltung aber in der Vorbereitung des Workshops von der Führungskraft zielgruppengerecht aufbereitet werden. Das funktioniert nur, wenn die Führungskraft maximal unterstützt wird und ihr alle Informationen und Materialien – einfach und verständlich aufbereitet – vorab zur Verfügung gestellt werden.

Gemeinsam für die Sache: Dialogformate bringen alle an einen Tisch

Dialogformate leisten gute Dienste in einem breiten Anwendungsfeld: Strategievermittlung, Kultur- und Leitbildprozesse, Unternehmensinitiativen und Markenprozesse, Verhaltensänderungen und Integrationen. Sie bringen unterschiedliche Kulturen, Altersgruppen und Hierarchieebenen zusammen.

Die DAA dialogmap® – Erprobtes Dialogformat in Veränderungs­prozessen

Die DAA dialogmap® ist ein von Deekeling Arndt Advisors entwickeltes Beratungsprodukt, das bei der Initiierung und Gestaltung von Dialogprozessen zum Einsatz kommt. Die DAA dialogmap® ist ein großformatiges (A0), individuell entwickeltes und designtes Workshop-Poster, mit dessen Hilfe Teams von bis zu 15 Mitarbeitern unternehmerische Entwicklungen und Strategien diskutieren und nachvollziehen, Aufgaben lösen und eigene Vorhaben entwickeln.

Die DAA dialogmap® sieht im Schnitt sechs bis sieben Arbeits- und Diskussionsschritte vor. Es werden beispielsweise einzelne Unternehmensprojekte beleuchtet, Unternehmenskultur thematisiert, bereits erzielte Fortschritte des Unternehmens sichtbar gemacht. Und zuletzt wird der Bogen geschlagen zum eigenen Team: Was sollen wir in diesem Kreis jetzt tun, damit diese Agenda Erfolg hat? Das Ergebnis ist Common Sense, wie man ihn lange vermisst hat: "Wir haben verstanden, wir machen mit!"

Deekeling Arndt Advisors hat alle bisher durchgeführten DAA dialogmap®-Projekte dokumentiert: 80 Prozent der Führungskräfte bestätigten die genannten Vorzüge des Instruments, 85 Prozent der Mitarbeiter fühlten sich im Anschluss an die Dialogrunden gut informiert.

 

Heike Humpf ist Managing Director im Beratungsbereich Change & Leadership.

Führungskräfte­kommunikation - Beobachtungen aus der Beratungspraxis

Von Egbert Deekeling und Stephan Rammelt

Überzeugte und überzeugende Führungskräfte sind für erfolgreiche Veränderungen unabdingbar. Doch in den Unternehmen herrscht oft Sprachlosigkeit. Die Klage über nicht funktionierende Kaskaden ist

Standard. Die Frage ist: Wollen sie nicht oder können sie nicht? Ein Klärungsversuch in fünf Thesen.

Der Beitrag ist erschienen in der Fachzeitschrift beyond.

Und jetzt Erneuerung

Egbert Deekeling im Gespräch mit Winfried Kretschmer, ChangeX

In vielen Unternehmen jagt eine Change-Initiative die andere, der Erfolg aber ist zweifelhaft. Der Grund: Change-Prozesse greifen vielfach nicht tief genug. Sie bewegen sich im Rahmen des bestehenden Geschäftsmodells, wo dessen Neuerfindung anstehen würde.

Als in einem Gespräch mit Egbert Deekeling das Wort "Erneuerung" fiel, war plötzlich klar, warum sich "Change-Management" abgegriffen und verbraucht anfühlt: Erneuerung ist es, was ansteht. Winfried Kretschmer, Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX, wollte Genaueres darüber wissen und verabredete sich zu einem Gespräch mit Egbert Deekeling.

ChangeX: Herr Deekeling, Sie haben den Begriff der Erneuerung ins Spiel gebracht, genauer der strategischen Erneuerung. Wo lag der Grund dafür?

Deekeling: Ganz konkret in unserer Arbeit: Wir begleiten Konzerne durch Phasen der Veränderung. Hierbei zeigt sich in den letzten drei, vier Jahren, dass das alte Begriffsinventar, das sich um den Begriff Change dreht - Change-Management, Change-Kommunikation -, nicht mehr ausreicht, um die Veränderungswirklichkeit dieser Unternehmen angemessen zu beschreiben. Und wie bei uns professionellen Beratern wird auch in den Unternehmen selbst nach Begriffen gesucht, die diese neue Realität begreifen lassen.

ChangeX:
Warum reichen die alten Begriffe nicht mehr?

Deekeling: Diese Konzerne, vor allem in der Energie- und in der Bankenbranche, sehen sich damit konfrontiert, nicht nur Prozessanpassungen innerhalb ihres Geschäftsmodells vollziehen zu müssen - also das, was der Begriff des Reengineering in der alten Welt des Change treffend zum Ausdruck brachte. Sondern sie sehen ihr Geschäftsmodell selbst unter Druck. Insofern reicht es längst nicht mehr aus, mit einem klaren Ziel, mit klaren Zeitvorstellungen und einer klaren Projektrationalität ein Change-Projekt durchzuführen. Gefragt ist vielmehr - und jetzt kommt der Begriff: Erneuerung. Das markiert einen dramatischen Unterschied, denn hierbei haben wir es mit Zieloffenheit zu tun, mit Ungewissheit, mit Experimentieren, mit Suche ...

ChangeX: ... Change dagegen meint zielorientiertes Vorgehen?

Deekeling: Change bedeutet, ein Geschäftsmodell entsprechend den gewandelten Anforderungen von Markt und Kapitalmarkt zu überprüfen, es weiterzuentwickeln, anzupassen, neu auszurichten - aber innerhalb des Rahmens dieses Geschäftsmodells. Die Anforderungen heute aber sind neu.

ChangeX: Und was ist die Antwort? Was genau meint Erneuerung?

Deekeling: Während es beim Change um eine Anpassung innerhalb eines bestehenden Struktur- und Wertschöpfungsmodells geht, steht hier die Wertschöpfungsidee selbst zur Disposition. In Erneuerungsprozessen sind nicht Effizienzsteigerung und Verbesserung der Profitabilität das Ziel, es geht um Neuerfindung. Unternehmen merken, dass sie nicht mehr weitermachen können wie bisher. Sie müssen neu darüber nachdenken, wohin die Reise gehen soll, sie müssen sich auf die Suche begeben und diesen Suchprozess selbst managementfähig und kommunikationsfähig machen. Der Erneuerungsbegriff verbindet sich also mit Zieloffenheit, mit Ungewissheit - und ändert insofern auch das Leadership-Muster von Kommunikation und Management.

ChangeX: Hat sich Change in den Unternehmen totgelaufen, indem in immer schnellerem Wechsel eine Strukturanpassung nach der anderen umgesetzt wurde?

Deekeling: So kann man das sehen. Natürlich gibt es weiterhin Change-Prozesse, sie sind und bleiben Bestandteil der Unternehmensrealität. Aber Change-Prozesse werden der Veränderungsnotwendigkeit und -wirklichkeit vieler Unternehmen nicht mehr gerecht. Change-Management-Prozesse sind in den Unternehmen weitgehend institutionalisiert oder werden von Beratungsseite zugekauft. Es existiert ein definiertes Veränderungsinstrumentarium, das je nach politischer Lage um Kommunikation angereichert wird. Es hat einen klaren Stellenwert im Rahmen begrenzter, genau definierter zielgerichteter Prozesse. Doch das gesamte Instrumentarium von Change-Management und Change-Kommunikation bewegt sich in dieser alten Vorstellungswelt und bietet in Situationen fundamentalen Wandels keine Antwort. Geschweige denn, dass es Topmanagement und Führungskräfte in die Lage versetzen würde, eine solche Erneuerungsherausforderung in den Griff zu bekommen.

ChangeX: Change ist zielorientiert, Erneuerung ist offen. Ungewissheit, Experiment - das heißt, dass man in einem Erneuerungsprozess das Ziel noch nicht kennen kann?

Deekeling: Teil des Erneuerungsprozesses ist, sich Ziele zu suchen und diese Zielsuche zum Gegenstand von Kommunikation zu machen, also diesen Suchprozess zu moderieren. Das verlangt, sich dieser Ungewissheit zu stellen. Das aber geht massiv gegen herrschende Leadership-Paradigmen. "Das ist die Richtung, da geht es lang. Wir wissen genau, um was es hier geht. Das ist das Ziel, und jetzt richten wir die Organisation auf dieses Ziel aus ..." - das sind die alten Change-Muster. Die aber funktionieren nicht mehr.

ChangeX: Frank Appel, der CEO von Deutsche Post DHL, hat sich laut Presseberichten mal hingestellt und gesagt, er wisse die Antwort selber nicht. Ist das die richtige Haltung für Erneuerung?

Deekeling: Ja, es ist eine ehrliche Haltung. Denn wenn man sieht, was sich in manchen Branchen an Erneuerungsdruck anstaut, dann ist die Aussage, keine Antwort zu haben - oder wie in der Energiebranche "Teil der Lösung" sein zu wollen -, beinahe schon das Konkreteste, was man sagen kann. Sich innerhalb eines solchen Grundverständnisses neue Ziele zu setzen, wird dann die Aufgabe des Erneuerungsprozesses sein.

ChangeX: In der Energiebranche, um bei dem Beispiel zu bleiben, stehen nicht nur Geschäftsmodelle zur Disposition, sondern die Licence to operate, die gesellschaftliche Aufgabe einer Branche insgesamt?

Deekeling: Genau. Die Energiekonzerne sehen ihre Licence to operate unter Druck. Und sie sehen, dass sie sich mit den Ansprüchen, Erwartungen und Forderungen unterschiedlicher Anspruchsgruppen auseinandersetzen müssen - und dass sie diese einbinden müssen. Deshalb geht es um die komplette Neuerfindung der Wertschöpfungsidee - nicht nur aus der Shareholder-Sicht, sondern aus der Sicht aller Stakeholder, der unterschiedlichen Anspruchsgruppen. Im Kern bedeutet das den Abschied von der reinen Shareholder-Fixierung und der damit verbundenen Prozesskultur - auch das ist Change-Welt - hin zu einer balancierten Stakeholder-basierten Licence to operate. Das macht schon die Zielbestimmung zu einem Akt der Identitätsfindung.

ChangeX: Sie sprechen von strategischer Erneuerung. Was bedeutet strategisch unter den Bedingungen von Zieloffenheit und Ergebnisoffenheit?

Deekeling: Strategisch bedeutet zunächst, sich einzugestehen, dass es hier nicht mit schneller Umsetzung oder gar einer Quartalstaktung getan ist. Change-Prozesse waren in der Regel auf ein Jahr oder maximal eineinhalb Jahre terminiert; dann folgte schon die nächste Change-Initiative. Bei Erneuerung haben wir es mit einer ganz anderen Zeitdimension zu tun, ebenso wie mit einer Vorstellung von Prozessrealität, die sich den klassischen Planungsprämissen entzieht. Es muss, wie gesagt, experimentiert werden. Es muss ausprobiert werden. Es muss ein Verständnis für sich widerstreitende Ziele erzeugt werden, die in Balance zu bringen sind. Hier verschieben sich die Prämissen. Das kann unter Umständen bedeuten, dass von Profitabilitätszielen Abschied genommen werden muss, weil sich das Zielportfolio verschoben hat.

ChangeX: Wir haben von Branchen gesprochen, die in einem starken Umbruch sind, Banken, Energie. Ist Erneuerung ein Ding, das diese Branchen betrifft? Oder sind diese wiederum nur Vorreiter allgemeiner, die deutsche Wirtschaft insgesamt betreffender Turbulenzen?

Deekeling:
Weitgehend formuliert steht Old Europe in Anbetracht der globalen ökonomischen Wirkkräfte vor einer Phase der Neuerfindung und damit vor der Herausforderung strategischer Erneuerung. Die klimatischen, die demografischen, aber eben auch die global-kompetitiven Einflussfaktoren werden früher oder später fast alle Branchen treffen. Nicht zuletzt sind wir auf dem Weg in eine Multistakeholder-Welt. Die Finanzbranche und die Energiebranche trifft es im Moment am härtesten, und hier kann man diese Phänomene am besten beobachten.

ChangeX: Sie haben vorhin gesagt, dass vielfach eine Unzufriedenheit mit den vorhandenen Begriffen zu spüren sei. Kann der Begriff der Erneuerung Orientierung geben?

Deekeling: Ich versuche, das mit einem Beispiel zu illustrieren: Von der neuen Spitze bei der Deutschen Bank wird der Begriff des "Kulturwandels" sehr stark propagiert. Es gibt aber keinerlei klare Vorstellung davon, was mit "Kulturwandel" eigentlich gemeint sei. Der Begriff wird zu einer Chiffre. Er spiegelt das Bewusstsein der Topführer, "wir werden etwas komplett ändern müssen, denn so, wie wir unser Geschäft bisher betrieben haben, werden wir das nicht weitermachen können". "Kulturwandel" ist eine Art Verlegenheitsbegriff für die größere, umfassendere Aufgabe, die damit verbunden ist - aber man spürt die Verlegenheit schon im Begriffsgebrauch. Es ist genau zu spüren, wie tief und fundamental die Veränderung gehen muss, ohne dass schon eine klare Vorstellung davon vorhanden wäre. Der Begriff des Kulturwandels soll eine Ahnung geben, wie umfassend die Erneuerung sein muss.

ChangeX: Erneuerung, betrifft das auch die Art und Weise, Organisationen - Unternehmen - zu bauen und zu führen?

Deekeling: Auf jeden Fall. Unternehmen werden sich gravierend verändern: Das macht die Führungsarbeit extrem anspruchsvoll - und wird auch die Rolle des CEO grundlegend wandeln. Es reicht nicht mehr, einfach "nur" zu entscheiden, zu verkünden und ansonsten den großen Hierarchen zu spielen. Der CEO wird immer mehr zur Projektionsfläche für Erwartungen und Ansprüche unterschiedlichster Stakeholder. Diese muss er moderieren und dabei zur richtigen Zeit die richtigen Impulse setzen. Das erfordert ein ganz anderes Leadership-Verständnis. Wenn der CEO der Architekt der Erneuerung sein will, dann ist dazu in aller Regel, wenn man so will, die strategische Erneuerung seines eigenen Selbstverständnisses notwendig.

Das Interview erschien am 22. Februar 2013 auf changeX; die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von changeX.

"Change-Kommunikation ist vor allem Führungs­kommunikation"

Am Beispiel von Fusionen erläutert Dirk Barghop im Gespräch mit dem pressesprecher, worauf es bei der Change-Kommunikation ankommt und warum transparentes Kommunizieren zwar wünschenswert, aber nicht immer möglich ist.

Lesen Sie hier das Interview, das im Rahmen des Themenschwerpunktes Change im Oktober 2013 im pressesprecher erschien.

Interview mit dem Pressesprecher